La Grande Tristezza
Oder: die gescheiterte Hoffnung
Clemens Kirsch
Wenn ich an die Donau City vulgo „Donau-Platte“ denke, kommt mir als Assoziation der Titel des Gemäldes von Caspar David Friedrich in den Sinn (heute bekannt unter dem Titel „Das Eismeer“). Die sich auftürmenden Eisplatten können hier stellvertretend für die aufgetürmten Baumassen auf diesem Areal stehen.
Wie konnte es soweit kommen? Und was waren die räumlichen und infrastrukturellen Parameter dieser Entwicklung?
Das heutige Gebiet der Donau City war ein „Abfallprodukt“ eines für Wien einschneidenden Infrastrukturprojektes: der Donauregulierung von 1870–75. In den Folgejahren wurde das Areal als Mülldeponie genutzt, bis die Internationale Gartenschau (WIG 64) 1964 einen ersten freiräumlichen und städtebaulichen Fokus auf diesen Teil von Wien legte.
Der im Zuge der Ausstellung errichtete Donauturm als damals höchstes Gebäude von Österreich (252m) warf als phallischer Solitär vielleicht schon seine Schatten von der Randzone auf die zukünftige Ausformung der „Platte“ voraus.
In weiterer Folge definierten diverse weitere Infrastrukturprojekte den Rahmen der Entwicklung: 1973 wurde das Vienna International Center (VIC) als dritter Sitz der UNO am Rande des Parks errichtet. Nach dem Einsturz der Reichsbrücke 1976 wurde mit der Neuerrichtung derselben das Areal auch an das entstehende U-Bahnnetz von Wien (U1) angeschlossen. 1987 wurde neben dem VIC auch der politisch umstrittene Bau des Konferenzzentrums (1982 Volksbegehren gegen den Bau) eröffnet.
Die 1972–88 erfolgte Zweite Donauregulierung („Neue Donau“, Donauinsel) markiert einen weiteren prägenden und räumlich begrenzenden Parameter des Areals.
Die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs abgegebene, aber durch eine Volksbefragung (Mai 1991) zu Fall gebrachte gemeinsame Bewerbung von Wien und Budapest für die Abhaltung der EXPO 95 zeitigte weitere Infrastrukturmaßnahmen auf diesem Areal: Die Errichtung der Donauuferautobahn und deren Überplattung stellten im wahrsten Sinne des Wortes die „tabula rasa“ für die weitere Entwicklung des Ortes in seiner heutigen Gestalt her.
Im Laufe der Jahre wurden immer wieder Vorschläge lanciert, das Areal mit einem Attraktor von überregionaler Bedeutung – sei es durch die Ansiedlung eines Universitätsstandortes (TU, WU, Universität für angewandte Kunst) oder eines Museumsbaus (MUMOK) – aufzuwerten.
In den Jahren nach dem krachend gescheiterten EXPO-Experiment wurde die weitere Entwicklung in die Hand der WED (Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG. Seit 2016 alleiniger Eigentümer: Bank Austria) gelegt, um nach dem städtebaulichen Masterplan von 1991 / 1992 (Arch. Krischanitz / Arch. Neumann) weitere Konzepte zu entwickeln, wie man das mittlerweile infrastrukturell exzellent erschlossene Gebiet nutzbar machen könnte.
So wurde 2002 ein Gestaltungswettbewerb für das letzte freie Areal in Donaunähe ausgelobt, aus dem der französische Architekt Dominique Perrault als Sieger hervorging. 2014 wurde der Büroturm DC1 fertiggestellt, 2021 das Hochhaus DC3 mit Studentenwohnungen, die Wohntürme Danube Flats und DC2 sind gerade noch in Bau.
Im STEP 05 (Stadtentwicklungsplan) wurde das Donauufer erstmals als Zone „Waterfront“ in die erweiterten Langzeitplanungen der Stadt Wien mit einbezogen, um die Stadt wieder näher an die Donau zu bringen. Seit 2018 wird der an die Donaucity grenzende Uferbereich als „CopaBeach“ sukzessive umgestaltet.
Der heutige (Zu-)Stand:
Ca. 50% des Areals werden von den beiden Großformen, dem Sitz der Vereinten Nationen und dem Vienna International Center, eingenommen. Zentrale Ankunftsstelle für Benutzer des Öffentlichen Verkehrs ist der Platz der Vereinten Nationen am südlichen Ausgang der U1-Haltestelle Kaisermühlen / VIC. Von diesem Platz aus ist vor allem der zentrale, kommerziell genutzte Bereich (Büros, Hotel) fußläufig gut erschlossen, die Zone mit Wohnungen im Nordwesten des Areals hat zwar als Lagegunst die Nähe zum angrenzenden Donaupark, ist aber durch den ÖV nur schlecht bzw. gar nicht erschlossen.
Immer wieder sind auf dem Areal Öffnungen in Form von eingeschnittenen Höfen platziert, welche subkutane Blicke auf den infrastrukturellen Untergrund erlauben. Bis auf die Wasserkante im Südwesten ist die gesamte Donaucity von teilweise hochfrequentierten Straßenzügen umschlossen, die hier viel mehr eine trennende als eine verbindende Wirkung haben.
Somit erleben die Benutzer*innen den neuen Stadtteil trotz der theoretisch guten Anbindung an Grün- und Freiflächen im Südwesten (Donau) und im Nordwesten (Donaupark) von außen kommend eher als hermetisch abgeschlossene „Insel“.
Die fußläufigen Verbindungen im Inneren weisen kaum Begrünung oder großvolumige Bepflanzung in Form von Bäumen auf. Zusätzlich leidet die Aufenthaltsqualität vor allem an mangelndem Windkomfort.
Noch ganz im Geiste der „Charta von Athen“ (1933) wurde auch eine weitestgehende funktionale Trennung von Wohnen und Arbeiten im Sinne monofunktionaler Nutzungen umgesetzt. Eine Durchmischung der einzelnen Lebensbereiche innerhalb eines Gebäudekomplexes bzw. eine hybride Typologie für einen hybriden Stadtteil wurde hier erst gar nicht in Betracht gezogen.
Ebenso wenig mag sich eine Ensemblewirkung der einzelnen Gebäude einstellen. Darüber hinaus ist bisher keine architektonisch oder stadträumlich überdurchschnittliche Qualität der einzelnen fertiggestellten Objekte gegeben. Vielmehr entsteht beim Durchschreiten des Areals der Eindruck eines Sammelsuriums an für sich stehenden und gesondert verwerteten Spekulationsobjekten.
Allerdings haben sich beim „Branding“ der einzelnen Objekte die Immobilienentwickler und ‑verwerter nicht „lumpen“ lassen und sind mit der ihnen eigenen Kreativität ans Werk gegangen: „DC Tower“ 1–3, „Andromeda Tower“, „Tech Gate“, „District Living Vienna“, „DC Living“, „DC Waterline“, etc. Vielleicht versteckt sich hinter den überwiegend englischsprachigen Bezeichnungen ja auch eine Sehnsucht nach „Internationalität“?
Fazit:
Die ursprünglich im Zuge der EXPO-Planung gehegte Hoffnung, durch die Bebauung der Platte Wien zu einer bi-, wenn nicht gar multizentralen Stadt zu machen, kann aufgrund der weiteren konzeptionellen und baulichen Entwicklung aus heutiger Sicht getrost als gescheitert betrachtet werden.
Man wird das Gefühl nicht los, dass sich auch die Stadt Wien still und leise von ihren einst hehren Zielen verabschiedet hat und das Feld den Apologet*innen des „Betongoldes“ bei Vermarktung und Lobpreisung des Standortes überlassen hat.
Was der Mehrwert oder gar „Gewinn“ für die Stadt Wien – außer einer vielleicht fotogenen Silhouette aus der Distanz – sein soll, verschließt sich der Betrachter*in und Benutzer*in.
Die Donaucity steht somit auch als Mahnmal für eine Stadtplanung da, die zwar mit hohem Kostenaufwand für die Allgemeinheit die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen im Unter- und Hintergrund bereit gestellt hat, sich aber bei der Ausformulierung der Vorgaben für eine lebendige, nachhaltige, qualitativ hochwertige, und der Allgemeinheit zu Gute kommenden Bebauung und Bespielung ziemlich weit aus ihrer Verantwortung zurückgezogen hat und dem Finanzkapital die „Verwertung“ und Ausformulierung dieses Stadtteils überlassen hat.
Und wie immer lautet die abschließende Frage: Cui bono?
Clemens Kirsch
(Architekt und Freiraumplaner)