Großes Theater an der Wien
Die Donau City als Bühne für
spekulativen Investorenstädtebau
Reinhard Seiß
In seinem „zweiten Stadtzentrum“ inszeniert sich Wien als moderne Metropole. Dabei setzt man auf ein urbanistisches Stegreifstück, mit Banken und Immobilienfonds in den Hauptrollen. Architektur fungiert als wohlfeile Komparsin, und Kritiker fragen sich: Kann daraus je Stadt werden?
Das Aufatmen war groß, als die die Bank Austria im Sommer 2017 endlich den Verkauf ihres wichtigsten Immobilienprojekts der letzten Jahre verkünden konnte: des 250 Meter hohen DC Towers in der Wiener Donau City, der – 2013 fertiggestellt – zunächst halb leer stand und dann nur schleppend Mieter fand. Allzu peinlich wäre es gewesen, wenn das jüngste „Wahrzeichen“ der Donaumetropole, das der damalige Bürgermeister Michael Häupl als „Vorzeigeprojekt“ und „Meilenstein des modernen Wien“ einstufte, nicht nur als höchstes Gebäude, sondern auch als größter Ladenhüter Österreichs in die heimische Architekturgeschichte beziehungsweise Immobilienchronik eingegangen wäre. Zwar behauptete der Investor stets, die Verwertung verlaufe zu seiner Zufriedenheit. Doch verwehrte die dunkle, verspiegelte Glasfassade nach Plänen des Pariser Stararchitekten Dominique Perrault jede augenscheinliche Überprüfung, in wie weit die medialen Erfolgsmeldungen, die interessanterweise oft von großformatigen Werbeeinschaltungen für den Turm begleitet waren, auch tatsächlich mit neuen Nutzer*innen der 44.000 Quadratmeter Büroflächen einher gingen.
Ohnehin gilt ein Immobilienprojekt heute nicht mehr als erfolgreich abgeschlossen, wenn der Bau fertiggestellt oder voll vermietet ist, sondern dann, wenn das Projekt am internationalen Anlegermarkt verkauft ist. Dies kann günstigstenfalls bereits in der Entwicklungsphase gelingen, manchmal noch während der Errichtung – oder, wie im Fall des Perrault-Turms, auch erst nach vier Jahren. Diesmal ist die Abnehmerin die Immobilientochter der deutschen Bankengruppe Deka, aber auch niederländische, britische oder US-amerikanische Investoren – und jüngst sogar Interessenten aus Asien zählen zum Zielpublikum der Wiener Großprojektentwickler. Diese bauen längst nicht mehr für den lokalen Bedarf an repräsentativen Headquarters und modernen Arbeitsplätzen, an profitablen Einzelhandelsflächen oder Luxusappartements. Ihr Blick richtet sich auf die Notwendigkeit großer ausländischer Fonds, allen voran privater Pensionskassen, ihre Gelder langfristig und möglichst sicher anzulegen. Insofern sind Wiens großvolumige Bürokomplexe oder auch Einkaufszentren der letzten zwei Jahrzehnte streng genommen auch keine Produkte für den realen Immobilienmarkt, sondern für den globalen Finanzmarkt.
Österreichs Bundeshauptstadt bietet dafür attraktive Rahmenbedingungen, wie sie in anderen Metropolen selten geworden sind: Weder werden Investoren durch städtebauliche Vorgaben eingeengt, noch zu empfindlichen Wertsteigerungsabgaben bei Gewährung außergewöhnlicher Höhen und Kubaturen verpflichtet. Und selbst die Anwendung der seit einigen Jahren möglichen städtebaulichen Verträge, die private Gegenleistungen für die öffentliche Infrastruktur- und Verkehrserschließung von Großprojekten beinhalten können, obliegt allein dem Gutdünken der Politik. Diese Willfährigkeit gegenüber der Immobilienwirtschaft manifestiert sich nirgends so offensichtlich und konsequent wie in der Donau City, jenem Viertel, das vom Rathaus Anfang der 1990er-Jahre zum Modell für einen neuen, hochhausgeprägten Städtebau – und zu nichts weniger als Wiens zweitem Zentrum ausgerufen wurde. Dabei waren die Voraussetzung wie geschaffen, um auf dem ursprünglich für eine EXPO vorgesehenen Standort einen mustergültigen Stadtteil zu realisieren: Das 18 Hektar große Gelände lag nach Überplattung der Donauuferautobahn unmittelbar am Fluss, bot einen direkten unterirdischen Autobahnanschluss sowie eine Station der U-Bahn-Linie 1 – und befand sich im Eigentum der Stadt Wien.
Doch gab die Kommunalpolitik die Chance einer konzertierten Projektentwicklung freiwillig aus der Hand und übertrug 1995 die mit viel öffentlichem Geld baureif gemachte Liegenschaft um ein Almosen der WED, der Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum, deren mittlerweile alleiniger Eigentümer die traditionell rathausnahe Bank Austria ist. Damit war die Erfüllung der hehren Ziele für ein an der Oberfläche autofreies, nutzungsdurchmischtes, urbanes und gleichzeitig durchgrüntes städtebauliches Ensemble mit Bezug zum Wasser vom guten Willen privater Akteur*innen abhängig. Vorgeblich ließ der erste Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Lage, Form und Höhe der großmaßstäblichen Baukörper weitgehend offen, um – so die Planungsbehörde – „die Kreativität der Architekten in diesem experimentellen Stadtteil nicht zu sehr einzuschränken“. Heute, da die Donau City bis auf wenige Restflächen fertig gestellt ist, zeigt sich allerdings, dass dieses Vakuum an städtebaulichen Vorgaben vor allem die Kreativität der Bauträger beflügelte, ihre Gebäude unter Ausblendung des Umfelds sowie der Ziele für das gesamte Viertel zu „optimieren“. Niederschlag fand diese urbanistische Egozentrik zuvorderst im öffentlichen Raum zwischen den sich nach außen hin abschottenden Baumassen: Er dient allein den Wegen von und zur U-Bahn; außerhalb der Hauptverkehrszeiten wirkt die vermeintliche City wie ausgestorben.
Selbst das einzige zwischen Rathaus und WED vertraglich festgelegte Qualitätskriterium wurde von keiner der beiden Seiten je ernst genommen: Um in der neuen Downtown eine entsprechende funktionale Vielfalt sicher zu stellen, hatte man vereinbart, dass 34 Prozent des Bauvolumens auf Büros und Geschäfte, 30 Prozent auf Wohnungen, 24 Prozent auf Bildung und Wissenschaft, acht Prozent auf Kultur und Freizeit sowie vier Prozent auf Hotellerie entfallen sollen. Bis dato ist neben Wohnungen für rund 4.000 Menschen samt Kindergarten, Schule und einer minimalen Nahversorgung sowie Büros für rund 5.000 Beschäftigte jedoch nichts Nennenswertes entstanden, das die Donau City über ein beliebiges Stadterweiterungsgebiet erheben würde. Ja, nicht einmal die Durchmischung von Arbeiten und Wohnen wurde ernsthaft angegangen: Während die teureren Baufelder nahe der U-Bahn für Bürotürme bestimmt waren, konzentrierte man die Wohnkomplexe im weniger gut erschlossenen Teil des Areals. Erst die jüngste Entwicklung, die spät, aber doch auf das wienweite Überangebot an Büroflächen reagierte, brachte es mit sich, dass aus manchem Büroprojekt nahe der U-Bahn ein Wohnprojekt wurde.
Vermutlich wäre aber auch so manche Wohnung ohne öffentliche Förderung nicht verwertbar, zumal die hohe Dichte und der wenig durchdachte Städtebau dazu führen, dass bei weitem nicht alle Menschen, die hier unmittelbar an der Donau leben, den Fluss auch tatsächlich sehen. Auch die Bürotürme zeigen trotz hoher Lagegunst und prominenter Architektur erstaunliche Leerstände: Hans Holleins 95 Meter hoher Saturn Tower etwa ist seit seiner Eröffnung 2004 mit tausenden freien Quadratmetern Stammgast in den Immobilienannoncen heimischer Zeitungen.
Der eigentümlichen Rationalität des Immobilienmarkts scheint es geschuldet zu sein, dass die Reaktion auf solche Misserfolge oft darin besteht, noch mehr vom selben – bloß noch höher und noch größer zu bauen. Solches kennzeichnet auch die Geschichte der Donau City. Nach dem ersten Entwicklungsjahrzehnt betraute die WED als Auftakt zur zweiten Phase den Architekten Dominique Perrault mit dem Entwurf zweier Zwillingstürme von 160 und 200 Metern Höhe, obwohl der damals gültige Bebauungsplan Höhen bis maximal 120 Meter vorsah. Um diesen Widerspruch aufzulösen, erging an Perrault darüber hinaus der Auftrag, einen Masterplan für die Donau City zu entwerfen, der zum einen den bisherigen Wildwuchs rückwirkend rechtfertigen und zum anderen den geplanten Dimensionssprung argumentieren sollte. Wie nicht anders zu erwarten war, übernahm die Stadt Wien den Wunschzettel des privaten Generalentwicklers und setzte ihn in Form eines städtebaulichen Leitbilds sowie eines neuen, 2007 beschlossenen Flächenwidmungs- und Bebauungsplans um.
Die Lektüre des Leitbilds legt nahe, dass Perrault weniger seiner urbanistischen Expertise als seiner Prominenz wegen engagiert wurde – um mit seinem Namen die noch geplanten Immobilien besser vermarkten zu können. Jedenfalls muten die Erläuterungstexte des Pariser Architekten eher lyrisch an als fachlich aussagekräftig: „Diese starke und dennoch offene Silhouette wird zu einer kinetischen Landmark“ – umschreibt Perrault beispielsweise die vollkommene Beliebigkeit der Höhenentwicklung der Bebauung, und erklärt weiter: „Durch die horizontale Erweiterung zum Fluss wird die vertikale Erweiterung der Donau City möglich. Nach und nach wird eine neue Silhouette in der globalen Vision der Stadt Wien entstehen.“
Dass die Realisierung seiner beiden Türme trotz eines immensen PR-Aufwands der WED wie auch des Rathauses mehrere Jahre lang stockte, lag weniger an der einsetzenden Finanzkrise als an der schon chronischen Übersättigung des Wiener Büromarkts und dem entsprechend niedrigen Mietpreisniveau. In solchen Fällen weiß man in der Donaumetropole aber Abhilfe: Wenn die Renditeerwartungen pro Quadratmeter sinken, werden die Projekte einfach höher, um am Ende wieder auf denselben Gewinn zu kommen. Die lukrative Ausnahmegenehmigung, die Perrault-Türme 220 und 175 Meter hoch bauen zu dürfen, wurde von einer Gemeinderätin der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion mit dem Argument gerechtfertigt, dass den Unterschied von 20 beziehungsweise 15 Metern ohnehin niemand mit freiem Auge erkennen könne. Jeder normalsterbliche Bauherr, der mit der Baubehörde schon einmal um Abweichungen im Zentimeterbereich gerungen hat, wird sich seinen Teil dazu denken.
Während es der DC Tower 1 inklusive Dachaufbauten schließlich auf 250 Meter brachte und damit – völlig unproportional – alle anderen Türme des Hochhausviertels um das eineinhalbfache überragt, wurde die Realisierung seines kleineren Zwillings mangels Nachfrage zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben. Immerhin gelang es 2016, den Bauplatz samt Baurecht an einen Immobilienfonds der deutschen Commerzbank abzustoßen. Ende 2022 war es dann doch soweit: Neun Jahre nach Fertigstellung des DC 1 begannen die Bauarbeiten für den DC 2, der aus heutiger Sicht bestenfalls als Nachzügler, eher aber nur als Stiefbruder denn als Zwilling anzusehen ist. Zum einen, weil in der Zwischenzeit – eher spontan – schon ein weiterer Turm namens DC 3 das Licht der Immobilienwelt erblickt hat, der aus Perraults Masterplan so nicht wirklich ablesbar war. Und zum anderen, weil der DC 2 von seinen nunmehrigen Architekten Dietrich / Untertrifaller so sehr verändert wurde, dass er nichts mehr mit dem DC 1 gemein hat. Vorsorglich hatte Dominique Perrault aber schon nach Fertigstellung seines Turms versichert, dass die Idee, mit DC1 und DC 2 ein Stadttor zu schaffen, städtebaulich auch ohne zweiten Turm funktioniere.
Architektonisch wollte sich der Pariser Baukünstler ohnehin nie festlegen, was genau die auf drei Seiten recht banale, auf einer Seite geradezu expressionistisch verformte Fassade seines Wolkenkratzers ausdrücken soll. Während er bei einer Begehung mit Journalist*innen über einen „gläsernen Monolithen, der wie ein geometrischer Wasserfall neben der Donau steht" fabulierte und dabei betonte, wie wichtig ihm diese Wassermetapher sei, gab er in einem Fernsehinterview bekannt, dass ihn nicht der Fluss, sondern vielmehr die archaischen Skulpturen auf der Osterinsel inspiriert hätten.
Leider reichen in Wien ein namhafter Architekt und ein paar modische Worthülsen, um in Planungspolitik und -verwaltung, aber auch in den meisten Medien helle Begeisterung oder zumindest kritiklose Akzeptanz für mittelmäßige bis belanglose Projekte zu erzeugen. Würde es in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern nicht um vermeintliche Weber, sondern um Baumeister gehen – es müsste an der Donau spielen. Denn auch das Schwadronieren Perraults über den Freiraum und die Urbanität im Umfeld seines Büro- und Hotelturms erweist sich bei genauerem Hinsehen als substanzlos. Anstatt das Konzept des autofreien öffentlichen Raums fortzuführen, entzog die WED der Fußgängerebene einen Gutteil des Vorbereichs des DC 1 und senkte diesen – gleich einem Burggraben – auf Tiefgaragenniveau ab. So können automobile Geschäftspartner*innen und Kund*innen der Büromieter ebenso wie per PKW anreisende Hotelgäste aus dem unterirdischen Straßennetz der Donau City auftauchen und unter freiem Himmel vor Perraults repräsentativem Glasturm vorfahren, anstatt ihn – wie andernorts im Stadtteil üblich – nur über die Garage zu erschließen.
Betont wird seitens der WED auch gern, dass der DC Tower den Energie- und Nachhaltigkeitserfordernissen der EU-Kommission für ein „Green Building“ entspreche. Doch stellt sich die Frage, in wie weit – und vor allem, wie lange – ein technisch hochgerüsteter Bau wie der DC 1 überhaupt umweltgerecht sein kann. Denn in spätestens zehn Jahren wird die heute eingesetzte Gebäudetechnologie veraltet sein, ein Nachrüsten oder Sanieren des 250 Meter hohen Glasturms aber bedeutend teurer kommen als bei herkömmlichen Häusern. Und ob die geringen Renditen am Wiener Büromarkt dies wirtschaftlich tragen werden, darf bezweifelt werden. Dem Errichter kann das seit dem Verkauf des Turms egal sein – die Kund*innen jenes Pensionsfonds, der ihn dann besitzt, werden es jedoch spätestens ab ihrem Pensionsantritt merken.
Auch für Wien ist derlei Stadtentwicklung ein Verlustgeschäft – ganz abgesehen von den Kosten der öffentlichen Erschließung, die zahllose spekulative Projekte erst ermöglicht hat, und ungeachtet des demokratiepolitischen Schadens, den die Bevorzugung einiger Investoren gegenüber zigtausenden herkömmlichen Grundeigentümer und Bauherren bedeutet. Denn die von der Immobilienbranche getriebene Urbanisierung ruiniert die gewachsene, kleinteilig durchmischte Stadtstruktur: Zwar verkauft die Politik jeden gebauten Büroarbeitsplatz als neuen Job. In Wirklichkeit aber füllen sich die Glastürme vielfach durch Abwerbung von Büromietern aus anderen Vierteln mit älterem Gebäudebestand – der dauerhaft brachfällt, und angesichts des Büroflächenüberangebots kaum Chancen auf Sanierung und Neunutzung hat. Gleichzeitig vergeuden die neuen Bürokomplexe teure Infrastruktur und knappe Baugrundstücke, die ebenso gut für dringend benötigten Wohnbau verwendet werden könnten.
Unbestreitbar ist aus der Donau City ein Exempel geworden: und zwar für das Unvermögen des Immobilienmarkts, sich selbst zu regulieren, sowie seinen Unwillen, auch nur ansatzweise so etwas wie Stadt zu schaffen. Und auch der DC Tower wird seiner Rolle als „Landmark“ gerecht – im Sinn eines Monuments gegen eine haltungslose, ja verantwortungslose Planungspolitik. So gesehen ist es gar nicht schlecht, dass die Türme an der Donau weithin wahrnehmbar sind.
Reinhard Seiß
(Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien sowie
Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung)
Geschlechtergerechte Formulierungen in diesem Text nach Vorgabe des Autors.