City vermitteln
Gedanken zu den Rundgängen im
Rahmen des Projekts „Aus der Null-Ebene“
Rolf Wienkötter
Matthias Klos und Hans-Jürgen Poëtz haben mich eingeladen, im Rahmen ihres Projekts „Aus der Null-Ebene“ Rundgänge durch die Donau City zu gestalten. Ich bin Kunst- und Kulturvermittler, in verschiedenen Kontexten, in Museen, Ausstellungen und im Außenraum. Je nachdem, womit und mit wem ich es zu tun bekomme, konkretisieren sich die Anforderungen neu; Schablonen gibt es keine. Das vorliegende Projekt ist gleichzeitig Rahmen und selbst Gegenstand der Vermittlung, wie auch die Donau City selbst. Das verleiht der Aufgabe einen eigentümlichen Charakter und wirft Fragen auf. Dieser Text möchte eine Skizze sein: Gedanken im Vorfeld, ein Blick in die Werkstatt, noch bevor die Praxis die Gelegenheit bekommen hat, alles über den Haufen zu werfen.
„Wiens neues Zentrum am Wasser. Hier lässt es sich leben, arbeiten, die Freizeit verbringen.“ Das ist die Kurzformel der Donau City, wie sie im „D-City Pocket Guide“, einer aktuellen Broschüre, zu lesen ist. An anderer Stelle: „…ein lebendiges, bunt gemischtes Stadtviertel, das für alle Ansprüche, Bedürfnisse und Wünsche etwas zu bieten hat.“ So klingt die offizielle (Selbst-)Darstellung des Viertels. Sonstige Beobachter*innen finden ganz andere Worte, und Bewohner*innen bzw. Nutzer*innen der Donau City haben wiederum eigene Empfindungen. Die Donau City ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. In Sachen Vermittlung ist das eine schwierige Ausgangslage.
Die praktischen Fragen lauten: Woraus besteht die Donau City? In welcher Form, an welchem Ort und in welcher Reihenfolge lassen sich Donau City-Bausteine thematisieren? Was bringen wir an Haltungen, Meinungen, Urteilen schon mit und wie lässt sich damit arbeiten? Was nehme ich selbst mit als derjenige, der den Rundgang gestaltet? Und wie bleibt alles in Tuchfühlung mit der künstlerischen Perspektive, die das Gesamtprojekt motiviert? Die jeweils bevorzugten Medien von Matthias Klos und Hans-Jürgen Poëtz, Fotografie und Sound, erzeugen in gewissem Sinn Nähe aus der Distanz, durch ein Hinsehen und Hinhören. Zentrales Element bei den Rundgängen ist die konkrete körperliche Bewegung durch das Areal, in ständiger Kopplung mit dem Sehen und Hören – sowie mit allem, was wir wissen, erinnern, assoziieren, fühlen, mögen oder nicht mögen. Alle diese Ebenen lassen sich kaum trennen.
Die baulichen Ebenen, die Fußgänger und Autoverkehr trennen und sich immer wieder, wenn auch nur visuell, durchdringen, sind ein oft kommentiertes Spezifikum des Viertels. Ist das nicht eine Steilvorlage für eine „Metaphorisierung“ der Donau City? Oder wäre das zu billig, denn ist letztlich nicht alles „vielschichtig“? Sind es „Schichten“ im Sinne einer horizontalen Gliederung, die uns in den Sinn kommen, oder erscheint die Donau City als ein Konglomerat von Elementen, die sich in einem Hin-und-Her, Rauf-und-Runter, Kreuz-und-Quer zu einer Gesamtheit formen, oder gerade nicht? Über das Gebaute hinaus erscheint die Erfahrung des Viertels jedenfalls als ein Komplex von Wahrnehmungsebenen, die sich gegenseitig durchdringen, illustrieren oder konterkarieren.
Das Viertel kommentiert sich fortwährend selbst. Das ist keine theoretische Bemerkung, sondern an vielem ablesbar, wenn man sich vor Ort bewegt. Wer von der U-Bahn kommt, wird von Transparenten in Empfang genommen, Bilder aus dem Computer, die uns das Viertel zeigen, inklusive der „Starparade“ der Wolkenkratzer, aufgereiht wie der Cast eines aktuellen Serien-Hits. Das formt den Blick und lenkt die Wahrnehmung. Das Bild, das wir uns von der Donau City machen sollen, ist damit Teil der Donau City, ebenso die Sprache, etwa die Namen der Gebäude, wo uns Götter begegnen oder die große, weite Welt („DC Tower“), oder an den Umzäunungen aktueller Baustellen die Beschreibungen der Projekte in Wort und Bild. Orientierung, Information und Werbung sind untrennbar verquickt.
Im Viertel bewegen wir uns auf „Promenaden“, z.B. der Carl-Auböck-Promenade. Eine Promenade zeichnet sich laut Wikipedia durch „große Flanierqualität und interessante Blickbeziehungen“ aus, dient „dem Lustwandeln und nur in zweiter Linie pragmatischen Fußgänger-Verkehrs-Funktionen“. Was davon vermittelt sich in der gebauten Wirklichkeit, in der wir uns bewegen? Zu welcher Bewegung werden wir verleitet, zu welcher genötigt? Im Text von Patricia Grzonka ist von den omnipräsenten Rampen die Rede. Auch Durchgänge, torartige Situationen, Brücken und Übergänge fallen auf in ihrer Häufigkeit. Was ist Inszenierung, und was Notlösung? Was erscheint als Qualität, und was als Mangel? „Wie in einer märchenhaften Hochgebirgslandschaft sind die – physisch getrennten – Ebenen der Fußgänger und Fahrzeuge optisch verbunden.“ So äußerte sich 2006 der Vorstand der Donau-City-Betreibergesellschaft, einem Artikel des Standard zufolge.
Der Ausdruck „Klein-Manhattan“ fand schon Verwendung in Bezug auf die Donau City. Nicht umsonst war Rudy Giuliani, Ex-Bürgermeister von New York, Ehrengast bei der Eröffnung von Dominique Perraults DC Tower 1. Mir drängt sich an verschiedenen Stellen eher „Klein-Dubai“ auf. Ich hatte im Februar 2020 die ungeplante und ein wenig merkwürdige Gelegenheit, als „wissenschaftlicher Reiseleiter“ eine Kunstreise nach Dubai und Abu Dhabi zu betreuen. In Dubai befindet sich das höchste Gebäude der Welt (Burj Khalifa, 828 m); in der Donau City das höchste Gebäude Österreichs (DC Tower 1, 250 m). So weit, so platt. Doch beide Türme verbinden sich mit dem Anspruch, ein neues Stadtzentrum zu errichten. Hochhausbauten, Starprinzip, ökonomische Interessen und wie sie sich zu Stadtplanung und zum Ziel eines „lebendigen, bunt gemischten Stadtviertels“ (siehe Zitat oben) verhalten – Signale, die man setzen, und Lebensräume, die man schaffen möchte, und vielleicht auch Gefühle, die sich einstellen, wenn man sich durch die Stadt bewegt – das wären Perspektiven, die zum Vergleich einladen. Die Größenverhältnisse sind in Dubai andere, und noch viel mehr – das sei klar betont – die politischen Verhältnisse und Arbeitsbedingungen.
Im letzten Jahr war die Donau City Drehort für einen hoch budgetierten Action-Kracher (Tyler Rake: Extraction 2), mit dem DC Tower 1 als Schauplatz von „atemberaubenden“ Szenen. Im Nachdenken über Möglichkeiten und Grenzen eines Rundganges in der Donau City fällt mir ein anderer Film ein: Jean-Luc Godards Deux ou trois choses que je sais d’elle von 1967. 24 Stunden im Leben einer Frau in einem Pariser Vorort. Alltag, Familie, Sexualität, Geld, Gesellschaft, Sehnsüchte, Enttäuschungen, Glücksmomente, Stadt, Politik, Geschichte, Literatur – der Entwurf einer Totalität als unmögliches Unterfangen. Zitat Godard: „Man kann alles in einem Film unterbringen. Man muss alles in einem Film unterbringen.“ Wir können nicht alles in einem Rundgang durch die Donau City unterbringen. Aber wir können es versuchen, und im schlimmsten Fall möglichst lustvoll daran scheitern.
Rolf Wienkötter
(Kunsthistoriker und Kunstvermittler)